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SAN FRANCISCO II.
20. September 1979
...Nach zehn Stunden brachte der Tagesausflugbus die ganze Gesellschaft wieder zurück nach San Francisco. Genau um 9 Uhr
abend hielt er am Union Square an.
Obwohl man das Gefühl hatte, es sei noch Sommer, war doch schon recht dunkel um diese Zeit. Noch ganz in Gedanken an den
eben erlebten, erneut schönen Tag, stieg ich aus und traute meinen Augen kaum, denn wer stand da? Genau vor der Tür?
- I l s e ! Ilse, die ich vor mehr als einem Monat - wenn man so jeden Tag kreuz und quer durchs Land fährt, einer Ewigkeit
her - an den Niagarafällen angetroffen und nach zwei Tagen, weil jede von uns in eine andere Richtung weiter ging,
wieder verlassen hatte. Beide hatten wir zwar kein festes Ziel vor Augen, ausser dass sie noch vor hatte, irgendwelche
Verwandten im Innern Kanadas zu besuchen und auch ein Weilchen dort zu bleiben, während ich wusste, dass ich erst mal
nach Minneapolis wollte.
Ansonsten hatten wir uns beide all die restliche Zeit so mehr oder weniger einfach treiben lassen: Sie war noch dort
gewesen und ich da. Man stelle sich dieses riesige Land Amerika einmal vor. Schon in einer grossen Stadt ist es reiner Zufall,
wenn zwei Bekannte, unvereinbart, sich einfach irgendwo treffen. Amerika ist aber keine Stadt, sondern mit Kanada zusammen,
-wo Ilse ja auch noch war, - ein Kontinent! - Und da steht sie. Punkt neun. Einfach so - vor mir. Nicht dass sie nur einfach
so zufällig hier vorbeispaziert wäre, nein, sie stand da. Als wäre sie gekommen, mich abzuholen; so, wie
abgemacht; keine Minute zu früh und keine Minute zu spät. Ja wenn sie mich noch im Gästebuch, das hier im Tourist-Office
aufliegt, eingetragen gefunden hätte, aber da hatte sie mich glatt übersehn.
Nichtsdestotrotz - I l s e - Ich fasste es nicht. Aber warum ausgerechnet Ilse, mit der mich schon ein anderes merkwürdiges
Zufallserlebnis verband, sonst aber eigentlich nichts, was ich wüsste? Auf diese Frage allerdings werde ich vermutlich nie
eine Antwort erhalten. Und doch, fragt man sich schon, nachdem man immer wieder mit solchen Zufällen konfrontiert wird,
''was i s t denn eigentlich Zufall?'' Unmöglich nur ein Ereignis, das einem so zufällig einfach widerfährt, schon, aber
etwas ganz Bestimmtes, für unser eigenes Leben ganz Bedeutendes, das uns an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten
Zeit, wohl zuzufallen h a t.
Etwas wird mir jedenfalls bei dieser Häufgung von Zufällen immer klarer, nämlich, dass ich in einem riesigen, weltweit verbundenen Netz miteingesponnen zu sein scheine; ein Netz, in dem ich mich auch sicher und geborgen fühle. Wirkliche Einsamkeit kann es drum nicht geben. Ueber mögliche Engel - lebende - tote; über Götter oder sonst übergeordnete Wesen; über Gott; über die Macht unserer Gedanken; über all das habe ich auf meiner Reise noch viel nachgedacht; über all das, was wir nicht sehen, aber täglich irgendwie spüren. Ich habe keine feste Vorstellung, aber ich glaube an alle Möglichkeiten. |
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