NOCH SO EIN ZUFALL, DER SICH EINEM BEREITS FRÜHEREN ZUFALL FÜGTE

SAN DIEGO


11. September 1979


...Wo ich schon mal in L.A. war, wollte ich auch noch für einen ganzen Tag, mit einer Übernachtung davor, einen kurzen Abstecher nach San Diego machen. Mal sehen, ob sich dort Tim Moore, den ich vor vier Jahren auf einem heiligen Berg in Sri Lanka getroffen hatte, ausfindig machen liess.

Nachdem ich am Vormittag in Hollywood noch die Universal Filmstudios besichtigt hatte, bestieg ich so um die Mittagszeit den Greyhound Richtung Süden. Wieder einmal erlebte ich unterwegs eine der grandiosesten Sonnenuntergänge und hatte noch, weil gleich anschliessend von einem Moment zum andern urplötzlich Nacht war, und ich sowas noch nie erlebt hatte, die grösste paranoide Wahnvorstellung meines Lebens; ich glaubte tatsächlich an nichts geringeres als an einen Weltuntergang. Zu sagen allerdings: Ich war von der grossen Hitze und den vielen Strapazen all die Tage, auch schon recht übermüdet und etwas verdreht. Also suchte ich mir, in S.D. angekommen, zuallererst mal ein Hotelzimmer, knüpfte mir dort dann aber auch noch das Telefonbuch vor und suchte drin Tim Moore. Zum Glück gab`s nur vier mit diesem Namen: zwei Timothys und zwei Tims. Nach der Wahl der ersten Nummer, kam dort nur der Telefonbeantworter, ich soll es morgen früh noch einmal versuchen, doch war ich mir fast sicher, die Stimme wiedererkannt zu haben, also versuchte ich es bei den übrigen schon gar nicht mehr und schlief mich erst mal gründlich aus.

Am nächsten Morgen, der neue Anlauf, und siehe, ich hatte Recht. Er war es tatsächlich, und wollte mich unbedingt sehen. Zwar müsse er jetzt zur Arbeit, aber über Mittag hätte er zwei Stunden Zeit. Ich wollte auf alle Fälle in den Zoo, von dem ich schon so viel gehört hatte. Also vereinbarten wir, uns um Zwölf, vor dem Eingang zu treffen. Vom Zoo habe ich zwar nicht viel mitbekommen, aber das wäre wieder eine andere Geschichte.
Die Hauptsache, ich habe Tim getroffen. Es war ein freudiges Wiedersehn.
Da ich Tim ja von jenem heiligen Berg her kannte, wo uns beiden recht Aussergewöhnliches widerfahren war, fragte ich ihn, ob er zufällig schon mal etwas von Dr. Richard Alpert, alias Ram Dass, gehört hätte, einem kalifornischen Hochschulprofessor, der mit Timothy Leary drogenexperimentiert, und dann später in Indien mystische Erlebnisse gehabt hätte. ''Selbstverständlich'', sagte Tim. ''Praktisch jeder Student hier in den Staaten kennt Ram Dass.'' Er selbst hätte auch schon Vorträge, die er jeweils an der Uni gehalten habe, von ihm besucht. Also erzählte ich Tim, ich sei nach meiner Rückkehr aus Asien, in Zürich rein zufällig auf seine Bücher gestossen. Weil viele seiner Erfahrungen sowas wie eine Bestätigung dessen waren, was mir - was damals für mich sehr ungewohnt neu - in Asien immer wieder selber widerfahren war. Darum hätte ich ihm geschrieben, ich käme nach Amerika und würde mich gerne mit ihm unterhalten. Umgehend kam dann die Antwort: ''Please feel free to call'', und er legte mir die Nummer bei. So rief ich ihn, als ich dann in New York war, tatsächlich an, und war erst einmal verblüfft, dass er selbst am Appart war, und er erst noch gleich auf Anhieb wusste wer ich war. Leider, musste ich ihm sagen, sei es nun eben doch später geworden, als ursprünglich geplant. ''Schade'', meinte er, er hätte täglich auf meinen Anruf gewartet, weil er mich wirklich gern getroffen hätte, aber leider fliege er noch am selben abend - ist das nicht verrückt? - noch am s e l b e n   A b e n d für unbestimmte Zeit zurück nach Indien. Klar sei ich enttäuscht gewesen, sagte ich Tim, aber wenigstens hätte ich ihn doch noch telefonisch erwischt. Ich sagte ihm auch, dass wir dabei miteinander geplaudert und gescherzt hätten, als wären wir bereits die besten Freunde.

Tim erstarrte fast vor Ehrfurcht, als er das hörte: ''Was, mit einem so berühmten Mann hast Du einen so engen Kontakt aufgebaut!'' Er wollte unbedingt den Brief, den Ram Dass mir geschrieben hatte, und den ich immer bei mir trug, für sich kopieren. ''Aber jetzt wirst du staunen'', eršffnete mir Tim:''H e u t e   A b e n d, und nur gerade heute, zeigen sie in einem kleinen Studiokino einen Dokumentarfilm über ihn. Ich habe mir und meiner Freundin bereits Billete besorgt, du kommst doch sicher mit''. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, wieder abzureisen, aber d a s konnte ich mir nun wirklich nicht entgehen lassen.

Nun blieb mir also noch ein ganzer Nachmittg Zeit, noch einiges sonst so zu unternehmen. Doch daraus wurde nichts. San Diego nervte mich total. Diese Distanzen - und alles via Autobahn; a l l e s nur Autobahn. Dazu kam, dass die Verkehrsverbindungen der öffentlichen Transportmittel völlig miserabel, und deren Fahrpläne noch viel miserabler waren. Kam dazu, dass es dem Busfahrer erst wieder nach einer Stunde einfiel, dass er mir ja versprochen hatte, mich an der gewünschten Haltestelle rauszulassen und ich alles wieder, mit einem Bus, der nie kam, zurückfahren musste. Zu allem Elend herrschte noch tropisches Klima, kam dazu, dass es an all diesen Haltestellen keinen einzigen Baum gab; weder ein Vordach noch irgendwo eine Beiz, ja nicht einmal eine Bank zum sitzen. Dabei konnten sich solche Wartezeiten gut und gerne auf eine Stunde erstrercken. Wenn der Weg, den ich zurücklegen wollte, auf der Karte, per Luftlinie einen Kilometer betrug, musste ich dafür via Autobahn mit mindestens deren siebzehn rechnen.

Sowas wie Taxis schien man in S.D, gar nicht zu kennen, und auch den Daumen konnte ich raushalten bis er blau war, anhalten tat hier keiner. Drum blieb als einziges Mittel mir noch: Relaxen - nur keine Panik. Ganz einfach den Zeitplan einer höheren Macht überlassen. Ich erinnerte mich, dass ich vor Wochen in Minneapolis in einer sehr ähnlichen Situation war, und dann doch alles geklappt hatte. Von dem Moment an, wo ich mir sagte: ''So, Liane, jetzt hilft nur noch Gottvertrauen'', war mein ganzes Problem gelöst, denn nicht nur, habe ich es auf diese Weise geschafft, Tim, über Mittag zu treffen, sondern - haargenau zur abgemachten Zeit - auch am Abend. Bestimmt gehört auch dieses Wunder nur all jenen Zufällen an, die für uns wohl für immer unergründlich bleiben.
Der Film dann, hinterliess in mir trotz allem, eher ambivalente Gefühle. Mir schien, R.D. verhielte sich darin, doch nicht ganz dem seinen Büchern entnommenen Credo entsprechend: Dass nämlich Erfahrungen etwas ganz persönliches seien, man solche in keinem Supermarkt einkaufen könne, sondern jeder Einzelne, immer seine eigenen macht. Im Film jedoch, entstand das Gefühl, R.D. wäre versucht, junge Leute eben doch zu beeinflussen. Und bei mir sträubt sich alles, was nur irgendwie von Ferne nach Sektierertum riecht. Mein Eindruck mag da vielleicht falsch gewesen sein.

Am Telefon in N.Y., hatte er mir damals versprochen, mich in der Schweiz besuchen zu kommen.
Inzwischen habe ich erfahren, er sei gestorben.
So werde ich nun nie seine ganze Wahrheit kennen.

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